Soleb

Der größte ägyptische Tempel südlich von Theben steht 500 Kilometer oberhalb von Assuan. Als erster Europäer besuchte ihn am 15. März 1813 der Basler Reisende Johann Ludwig Burckhardt (Scheich Ibrahim). Der Tempel wurde vom berühmten Gelehrten Amenophis, Sohn des Hapu, als Teil jenes gigantischen Bauprogramms des Königs ausgeführt, das auch dessen Millionenjahrhaus auf dem Westufer von Theben und den Tempel von Luxor einschloss und das zweifellos die Vergöttlichung des Königs zum eigentlichen Ziel hatte. Der Tempel von Soleb war ursprünglich wesentlich kleiner und wurde dann in etwa vier Etappen während der Regierungszeit Amenhoteps III. auf die endgültige Größe gebracht. Er ist ein Beispiel für die uns konzeptlos erscheinende ägyptische Bauweise, die sich erst im Verlauf eines langen Prozesses zu einer "endgültigen" Form hindurch ringt.
Heute stehen nur noch wenige Säulen und Mauerreste des Tempels aufrecht; der Rest fiel Hochwassern des nahen Nils zum Opfer. Die Baugeschichte konnte jedoch durch die Grabungen von 1957 bis 1963 weitgehend geklärt werden. Besonders interessant ist, dass dabei zum ersten Mal die Entwicklung der Umfassungsmauern verfolgt werden konnte. Ausgangspunkt des Bauprogramms war ein bescheidenes Heiligtum in Gestalt eines Tempels mit Umgang, das zunächst rückwärts und an den Seiten mit Nebenräumen versehen wurde. Dieser Bau war von einer 105 x 120m großen, nischengegliederten Umfassungsmauer umgeben (Phase 1). Danach wurde, dem alten Bau gegenüber etwas verbreitert, ein Saal mit 24 Palmkapitellsäulen, ein Säulenhof und ein Pylon (I) vorgelegt. Ein hohes, von einer Hohlkehle abgeschlossenes Podium kennzeichnet den Tempel als eine Stätte des Ersten Males (Phase 2). Später wurde davor ein weiterer Hof mit einem neuen Pylon (II) errichtet und der ursprüngliche Pylon l durch die Säulerückhalle des neuen Hofes ersetzt. Dieser neue Pylon II wurde in eine neue, mit vorspringenden Türmen bewehrte Umfassungsmauer von 140 x 175m Seitenlänge eingebunden (Phase 3). In der nächsten Phase (4) wurde der neue Hof, wie im Luxor-Tempel, auch an den übrigen Seiten mit Hallen von gebündelten Papyrussäulen umgeben, vor Pylon II zwei Obelisken und sechs Kolossalstatuen errichtet und im Vorfeld des Tempels eine Allee von Widder-Sphinxen angelegt, die hinunter zu einer Kaianlage führte.
In der letzten Phase (5) wurde dem Pylon II ein monumentaler Kiosk mit vier 11,8m hohen Palmsäulen vorgesetzt, der sich mit der Kolonnade des Luxor-Tempels vergleichen lässt. Auf der Sphinx-Allee wurde ein dritter Pylon (III) errichtet und an eine noch größere, jetzt 210 x 240m messende Umfassungsmauer angeschlossen. Auf diesen Pylon ist eine Inschrift Echnatons (Amenhoteps IV) gefunden worden. Direkt vor und hinter dem neuen Pylon wurden je zwei Obelisken aufgestellt. Das Tempelhaus maß bis zum dritten Pylon etwa 170m Länge, also beträchtlich mehr als der Luxor-Tempel Amenhoteps III.
Auf den Mauerresten des zweiten Hofes finden sich wichtige Reste einer Sed-Fest-Darstellung, die als erstes von Richard Lepsius 1844 dokumentiert wurden. Sie umzog offenbar ursprünglich (wie auch im Totentempel des Königs) die gesamten Wände des Hofes. Im Hypostyl (Säulenhalle) befindet sich an den 24 Säulen die Fremdvölkernamen Liste. Die Anordnung entspricht im Wesentlichen den Himmelsrichtungen und den geografischen Zugehörigkeiten der Fremdvölker, z.B. ist das nubische Volk südlich der zentralen Achse angebracht. R. Lepsius hat neun Serien (vier asiatische, fünf afrikanische Listen) mit ungefähr 60 Orts- bzw. Völkerbezeichnungen rekonstruiert.
Aus dem Soleb-Tempel stammen auch die bekannten Skulpturen liegender Löwen, von denen zwei durch den Äthiopenkönig Amanislo (Amonasro) zum Gebel Barkal verschleppt wurden und von dort in das Britische Museum gelangten.

Literatur: Literatur: D. Arnold, Die Tempel Ägyptens (1996) in: 73-75; LD I Taf. 116/17; Grabungsvorberichte 1957-1961 von M. Schiff-Giorgini undJ.Janssen, in: Kush 6 (1858) 82-86; 7 (1959) 154-157, 166-169; 9 (1961) 182-209; 10 (1962) 150/51; Michaela Schiff-Giorgini, Soleb, Bd. l (Florenz 1965); Lexikon der Ägyptologie (1975) 1076-1080; Kemet Jahrgang 12, Heft 4 Oktober 2003 in: 37-42.

Der Tempel Amenhoteps III
[Abb. N48] Der Tempel Amenhoteps III von Soleb

Rechter Löwe aus Soleb Linker Löwe aus Soleb
[Abb. N49a & N49b] Zwei der verschleppten Löwe, jetzt im Britischen Museum, aus dem Tempel Amenhoteps III.